Erfurter Dopingaffäre: ARD nennt auch Kittels Namen
Der Dopingskandal um den Erfurter Sportmediziner und langjährigen Vertragsarzt des Olympiastützpunktes Thüringen, Dr. Andreas Franke, nimmt immer größere Ausmaße an und zieht auch den deutschen Rad-Shootingstar Marcel Kittel mit in den Sog.
Nach Informationen der ARD-Sportschau und des WDR-Magazins „Sport inside“ soll Franke das Blut von insgesamt 28 Sportlern, deren Namen dem Sender vorliegen, zu Dopingzwecken mit UV-Strahlen behandelt haben. Dafür wurde den Sportlern Blut abgezapft, bestrahlt und wieder infundiert. Die schon im DDR-Hochleistungssport angewandte Methode findet sich auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA wieder. Lediglich durch eine medizinische Ausnahmegenehmigung dürfe die Methode zu rein gesundheitlichen Zwecken angewandt werden. Nach ARD-Informationen habe keiner der Sportler eine solche Genehmigung beantragt.
ARD nennt auch Kittels Namen
Unter den 28 Athleten sollen sich laut ARD-Informationen auch Top-Athleten wie etwa die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, 800-Meter-Leichtathletik-Olympiasieger Nils Schumann sowie Radprofi Marcel Kittel befinden. Der Thüringer Kittel hatte im Vorjahr mit 17 Saisonsiegen einen viel beachteten Einstand im Profizirkus gegeben und unter anderem eine Etappe bei der Spanien-Rundfahrt gewonnnen.
Mit dem Jamaikaner James Beckford, bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta Silbermedaillengewinner im Weitsprung, soll sich auch ein Spitzenathlet aus dem Ausland unter denen von Franke behandelten Athleten befinden. Besonders schwerwiegend erscheint weiter, dass selbst mehrere zum Zeitpunkt der Blutbestrahlung noch minderjährige Nachwuchssportler von dem Mediziner behandelt worden sollen sein. Franke selber bezeichnete die Vorwürfe in eine Pressemeldung als “absurd”, die von ihm seit 20 Jahren praktizierte UV-Blutbehandlung sei lediglich zur “Infektbehandlung” und sei nicht zur Leistungssteigerung angewandt worden.
Seit dem Frühjahr 2011 ermittelt die Staatsanwaltschaft Erfurt wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz gegen Franke. Auf dessen mutmaßliche und unlauteren Methoden waren Münchner Justizkollegen im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Unbekannt in der Doping-Causa Claudia Pechstein gestoßen. Durch das Abhören von Telefongesprächen waren die Ermittler auf Mediziner Franke gestoßen. Ermittlungsmethoden dieser Art sind in Spanien, Italien, Frankreich oder Österreich seit Jahren Bestandteil staatliche Anti-Doping-Gesetze. Immer mehr deutsche Doping-Experten fordern inzwischen, solche staatlich legitimierte Instrumente auch für den deutschen Anti-Doping-Kampf zu übernehmen.
NADA seit Monaten im Bilde
Immer mehr in den Fokus rückt in der Angelegenheit die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA, die seit Monaten über die Vorgänge in Erfurt im Bilde sein soll. Neben der NADA sollen auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sowie das Bundesinnenministerium über die Vorgänge an dem auch aus Steuergelden unterstütztem Olympiastützpunkt Bescheid gewusst haben.
Dennoch wurde die NADA erst in zwei Fällen tätig: Im Sommer 2011 hatte die NADA laufendes Disziplinarverfahren gegen eine Erfurter Eisschnellläuferin bestätigt. Nach ARD-Informationen soll es sich dabei um die Olympiateilnehmerin Judith Hesse handeln. Die Athletin hatte sich nach einer Razzia bei Sportmediziner Franke und im Stützpunkt Erfurt selbst angezeigt. Mitte Januar hatte die in Bonn ansässige NADA auch Ermittlungen gegen einen deutschen Radsportler bestätigt, dessen Blut in der Praxis des Sportarztes Franke behandelt und reinfundiert worden war. Wie ARD-Recherchen ergaben, handelt es sich in diesem Fall um den 22-jährigen Jakob Steigmiller, Jungprofi vom Thüringer Energie-Rad-Team.
Warum die NADA trotz vorliegender Akten und Namen erst gegen zwei Sportler Ermittlungen in die Wege leitet, kommentierte NADA-Chefin Andrea Gotzmann wie folgt: „Das ist natürlich eine Größenordnung, da muss man sagen, das kommt nicht jeden Tag auf eine Nationale Anti-Doping Agentur zu. Ich würde auch keine Agentur der Welt kennen, die das von heute auf morgen so umsetzen und bewältigen könnte. Wir planen das intensiv, was unsere personellen Ressourcen angeht.“
Foto: Jon Thornton